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Für Menschen mit Migrationshintergrund ist in Deutschland vieles schwerer als für Menschen ohne. Dasselbe gilt auch für Homosexuelle. Menschen, auf die beides zutrifft, wie Du, müssen deswegen rein statistisch gesehen mit besonders vielen Nachteilen rechnen.
Unter anderem hast Du, wenn Du homo- oder bisexuell bist, in Deutschland ein höheres Risiko, an Depressionen zu erkranken. 20 Prozent der Menschen aus der LGBTQ+-Community leiden laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung unter Depressionen, während es unter Heterosexuellen nur etwa 11 Prozent sind.
nach eigener Angabe auf einer Skala von 1 bis 10
Als Mensch mit Migrationshintergrund wirst Du in Deutschland voraussichtlich Diskriminierung erfahren - am wahrscheinlichsten, wenn Du einen äußerlich sichtbaren Migrationshintergrund hast. In dem Fall liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Du Dich häufig diskriminiert fühlst, bei 48 Prozent. Das hat zumindest der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration (SVR) 2018 in einer Studie herausgefunden.
Ist Dein Migrationshintergrund nicht äußerlich sichtbar, dürftest Du deutlich entspannter leben: Nur 17 Prozent der Menschen ohne äußerlich erkennbaren Migrationshintergrund fühlen sich häufig diskriminiert. Wenn Dein Migrationshintergrund beispielsweise durch Deine Hautfarbe äußerlich erkennbar ist und Du einen Akzent hast, ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass Du häufig diskriminiert wirst: Laut dem Sachverständigenrat fühlen 59 Prozent dieser Menschen sich häufig diskriminiert.
Antonio Marcel Vargas ist schwarz und schwul. Seit drei Jahren lebt er in Deutschland. Hier, erzählt er, hat er noch keine Diskriminierung zu spüren bekommen. In Brasilien, seiner Heimat; allerdings schon. Er erzählt: „Als ich eines abends zu meinen Freunden in eine Kneipe kam, stellte sich mir ein Mann in den Weg, schubste mich und rief: ‚Es reicht nicht, dass du schwarz bist, du musst auch noch schwul sein!‘“ 54 Prozent der brasilianischen Bevölkerung sind schwarz, sagt Antonio. Die aktuellsten Zensus-Daten von 2010 aus Brasilien nennen ähnliche Zahlen. Obwohl nicht-weiße Brasilianer*innen die Mehrheit der Bevölkerung stellen, werden sie in Brasilien auf vielfache Weise diskriminiert. Dasselbe gilt für Menschen aus der LGBTQ+-Community.
„Es ist alles andere als leicht, gleich beide Erfahrungen zu machen“, sagt Antonio. Es habe unter anderem schwule Beziehungen gegeben, aus den letzten Endes nichts wurde, weil er schwarz war. Jobs, die er nicht bekommen habe, weil er sowohl schwul als auch schwarz war. Trotzdem, sagt Antonio – seine Diskriminierungserfahrungen haben ihn zu einem besseren Menschen gemacht. „Ohne all das, was mir passiert ist, würde ich jetzt nicht das Leben führen, dass ich führe. Deswegen muss ich stolz sein auf das, was ich bin.“ Antonio steht zu sich selbst und stellt sich damit der Diskriminierung entgegen. „Ich wüsste nicht, warum ich mich verstecken sollte“, sagt er.
Wer warum welchen Job nicht bekommen hat, lässt sich schwer belegen. Was sich aber belegen lässt: Wenn Du ein homosexueller Mann bist, wirst Du in Deutschland mit 16,44 Euro mittlerem Bruttostundenlohn deutlich weniger verdienen als ein heterosexueller Mann (18,14 Euro). Und das, obwohl homosexuelle Männer im Schnitt höher gebildet sind: 46 Prozent haben ein Abitur oder Fachabitur, während das unter Heterosexuellen nur bei 36 Prozent der Fall ist. Wenn Du eine homosexuelle Frau bist, hast Du jedoch mit durchschnittlich 15,44 Euro wahrscheinlich ein höheres Gehalt als eine heterosexuelle Frau, die im Schnitt 14,4 Euro verdient.
Vergütung pro Stunde bei gleicher Qualifikation, Branche und Tätigkeit
Ein Migrationshintergrund kann verschiedene Dinge bedeuten. Wer wie Antonio nach Deutschland zugewandert ist, hat in den meisten Fällen einen Migrationshintergrund. Auch in Deutschland geborene Menschen, bei denen nur ein Elternteil zugewandert ist, haben nach gängiger deutscher Definition einen Migrationshintergrund. Nach Einschätzung des SVR ist jedoch bei Diskriminierungserfahrungen vor allem der sogenannte sichtbare Migrationshintergrund zentral, also äußerliche Merkmale, die auf eine ausländische Herkunft schließen lassen. Antonio wurde in Brasilien wegen seiner Hautfarbe diskriminiert, obwohl er dort geboren war - und wegen seiner sexuellen Orientierung. „Als schwuler Mann wird man in Brasilien leiden, so ist es einfach“, sagt Antonio. Dabei war Brasilien lange ein Staat, der als fortschrittlich und liberal galt. Seit 2013 dürfen in Brasilien auch homosexuelle Paare heiraten. Schon seit 1989 gelten in einigen Bundesstaaten Brasiliens Antidiskriminierungsgesetze, die rassistische und homophobe Diskriminierung strafbar machen. Aber in den letzten Jahren hat sich etwas verändert. Heute ist das Land kein sicherer Ort für Homosexuelle, Schwarze und Frauen, sagt Antonio. Die öffentliche Debatte habe sich verändert.
Das hänge auch mit Brasiliens neuem Präsidenten zusammen, dem rechten Jair Bolsonaro. Inzwischen, sagt Antonio, ist es nicht selten, dass Schwule auf der Straße angegriffen werden. 2017 gab es in Brasilien laut der größten brasilianischen Schwulenvereinigung Grupo Gay da Bahia 445 registrierte Morde an Menschen aus der LBGTQ+-Community. Damit hat Brasilien die meisten LBGTQ+-Morde weltweit. Seit 2016 ist die Zahl dieser Morde in Brasilien um 30 Prozent gestiegen.
Antonio stammt aus einem armen Viertel einer kleinen Stadt und hatte damit keinen Zugang zu guter Bildung. Damit er studieren durfte, musste er hart arbeiten – und brauchte auch ein kleines bisschen Glück. Nach der weiterführenden Schule hatte er direkt angefangen, zu arbeiten – in einer kleinen Snackbar. Die besuchten auch Mitarbeiter*innen einer privaten und damit teuren Sprachschule häufig. Eines Tages hörte er sie von einem Stipendium sprechen. „Nach vier Englischstunden konnte man einen Test machen – und wenn man den bestand, weiter an der privaten Sprachschule lernen“, erinnert er sich.
Der Brasilianer machte den Test – und fiel durch. Trotzdem durfte er an der Schule bleiben, denn dessen Inhaber schlug ihm einen Deal vor: Wenn er an der Schule bleiben würde, um in Teilzeit für ihn zu arbeiten, dürfe er auch an der Schule Englisch lernen. Antonio willigte ein. Und begab sich, ohne es zu wissen, auf einen Bildungsweg, der ihn auch an die Universität führen würde.
Mehr als zwei Jahre arbeitete Antonio an der Sprachschule und lernte Englisch – bis er von einem Stipendium für schwarze Menschen für die Universität hörte. Er bewarb sich und gewann. Noch am Tag der Zusage bekam er auch an der privaten Sprachschule einen neuen Job: Er durfte in den Anfängerkursen selbst Englisch unterrichten. „Gleichzeitig zu studieren und zu arbeiten, ist aber nicht leicht“, erzählt Antonio. Manchmal sei er gestresst und hektisch gewesen. Einmal habe ein Kollege an der Sprachschule in der Mittagspause deswegen zu ihm gesagt: ‚Wenn das hier nicht gut für dich ist, dann geh doch zurück nach Afrika.‘
Antonio schluckt und hält kurz inne. „Stell dir das mal vor: du bist in Deinem eigenen Land, du arbeitest, du studierst – du machst eigentlich alles richtig.“, sagt er. „Und trotzdem ist es nicht genug, um respektiert zu werden.“ Seinem Kollegen sei er bestimmt, aber nicht aggressiv entgegengetreten. Später habe er sich an seinen Chef gewandt und ihm von der Situation erzählt. Der Kollege sei gekündigt worden.
„Ich hätte ihn auch verklagen können, denn Rassismus ist in Brasilien eine Straftat“, erzählt Antonio, „aber mir ging es nur darum, dass er etwas lernt. Ich wollte nicht einfach den Kopf einziehen.“ Er habe früh gelernt, für sich selbst einzustehen. Würde er das nicht machen, sagt er, wäre alles, was Martin Luther King und Rosa Parks erkämpft hätten, umsonst gewesen.
Antonio sagt, ein großes Problem sei, dass Menschen aus diskriminierten Gruppen in Brasilien zu selten in gesellschaftlichen relevanten Positionen seien. Antonio habe auf seiner Schule keine einzige schwarze Lehrkraft gehabt. „Das ist auch der Grund, warum ich nach der Schule erst einmal nicht studiert habe, sondern direkt angefangen, zu arbeiten“, erklärt der Brasilianer, „ich dachte, die Uni sei kein Ort für mich.“ Entsprechend sei er gar nicht auf die Idee gekommen, zu studieren.
Als er in der Universität dann zum ersten Mal einen schwarzen Professor sah, sei das ein Schlüsselmoment für ihn gewesen. „Ich war so glücklich, weil ich zum ersten Mal gesehen habe, dass es da draußen wirklich einen Platz für mich gibt.“ Erst in diesem Moment sei er wirklich sicher gewesen, dass er Sprachlehrer werden wolle. Gleichzeitig habe ihn die Erkenntnis, dass es trotz des hohen Anteils an Schwarzen in der Bevölkerung nur einen schwarzen Professor an seiner Universität gab, gelehrt, kritisch zu denken.
Laut Antonio ist Bildung der Schlüssel, um die Diskriminierung und die Ungleichheit auf der Welt zu beenden. „Ohne Bildung kommen wir nie dorthin, wohin wir wollen, ohne Bildung können wir die Dinge nicht verändern“, sagt er. Durch Bildung sei er von einem Jungen, der in einer Snackbar arbeitete, zu einem Mann geworden, der fünf verschiedene Sprachen spricht und in einem anderen Land studiert. Antonio ist froh, dass er nach Deutschland gezogen ist. Auch, wenn auch hier nicht alles perfekt ist. „In Brasilien sind nicht alle Menschen gleich“, sagt er.
Dieser Text wurde für Dich ausgewählt, weil Du angegeben hast, einen Migrationshintergrund zu haben. Außerdem hast Du angegeben, dass Du homosexuell bist. Diese zweite Eigenschaft wird auch in diesem Text näher beleuchtet. Wenn Dich interessiert, was andere Menschen beschäftigt, kannst Du einfach den Test mit anderen Antworten wiederholen oder Dir unsere anderen Geschichten durchlesen:
Das Projekt Choose Your Own Future ist entstanden, weil wir uns damit auseinandergesetzt haben, wie bestimmte Merkmale das Leben vieler Menschen beeinflussen. Merkmale, an denen wir häufig wenig ändern können.
Es gibt viele Merkmale, die dazu führen können, dass Menschen diskriminiert werden. Wir können uns nicht mit allen davon auseinandersetzen, sondern mussten einige auswählen. Das heißt nicht, dass Eigenschaften, die hier nicht erwähnt werden, zu weniger Diskriminierung führen. Leid lässt sich nicht gegeneinander aufwiegen. Wir haben uns dafür entschieden, die Merkmale in folgender Reihenfolge abzufragen: Geschlecht > Bildungsgrad der Eltern > Sexuelle Orientierung > Migrationshintergrund. Sie könnten aber auch in jeder anderen Reihenfolge stehen.
Auch in unseren Texten mussten wir uns beschränken. Deswegen haben wir uns entschieden, nicht mehr als zwei statistische Merkmale in einem Text zusammenzufassen. Ein weibliches Arbeiterkind mit Migrationshintergrund wird also trotzdem nur bei dem Text über Arbeiterkinder mit Migrationshintergrund landen, der sich vor allem mit dem Migrationshintergrund beschäftigt.