Politisch sein

Zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, Abbruch und Aufbruch: Die Lausitz sucht ihre Zukunft.

Lausitzerge Zustände benennen

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Wenn überregionale Medien über die Lausitz berichten, dann sind vor allem zwei Themen ausschlaggebend. Das eine wäre gut für die Gesundheit, das andere ist es nicht. Politisch brisant sind beide. Kohleausstieg und Rechtsextremismus. Die entsprechenden Artikel klingen beunruhigend. Sie erzählen, dass in Cottbus mehrere Neonazis wirtschaftlich Fuß gefasst haben und Bautzen schon immer eine rechte Hochburg gewesen ist. In den regionalen Fußballstadien regieren rechtsextreme Fans und auf den Dörfern werden sorbische Jugendliche von Nazis verprügelt. Den Überschriften ist zu entnehmen, dass der Kampf gegen die rechtsextreme Szene nicht mehr nur in der Lausitz, sondern um die Lausitz geführt wird. Frieden findet sich wahrscheinlich nur noch bei den Gurken im Spreewald.

Da stellt sich für die ehemalige Energie-Festung der DDR berechtigterweise die Frage, ob die Jahrzehnte in der braunen Kohle möglicherweise auf das politische Denken vor Ort abgefärbt haben. Aber trotz der Zustände dort sollte nicht vergessen werden, dass das Problem kein reines Lausitz-Problem ist. Denn Lausitzer Zustände sind die Zustände Brandenburgs und Sachsens, sind die Zustände des Ostens, sind die Zustände Deutschlands. Warum genau diese Zustände im Abschlussbericht der Kohlekommission unerwähnt bleiben, ist mehr als fraglich. Thematisiert wurden weder die bestehenden rechten Strukturen, noch der politische Rechtsruck der vergangenen Jahre. Die Vermutung liegt nahe, dass sobald die Wirtschaft bedroht ist, Politik erst einmal hinten angestellt wird.

Der Spreewald. Das letzte Idyll der Lausitz? (Quelle: Pixabay)

Der Spreewald. Das letzte Idyll der Lausitz? (Quelle: Pixabay)

Politik und Engagement vor Ort

Wenn der Staat schläft, beziehungsweise mit dem rechten Auge generell schlecht sieht, sollte es die Aufgabe der Zivilgesellschaft sein, das Schlimmste zu verhindern. Nur leider ist in strukturschwachen Regionen auch die Zivilgesellschaft meist nicht stark genug. Gegenüber sich radikalisierenden Rechten fehlt die soziale Kontrolle, das demokratische Korrektiv einer engagierten Mittelschicht.

Jan Hufenbach war zwar schon immer politisch, hätte sich aber vor dem Umzug aufs Dorf nicht vorstellen können in einer Partei oder ähnlichem aktiv zu werden. Erst in Klein Priebus, seinem neuen Zuhause, hat er den Schritt gewagt und sich für die Gemeinderatswahl aufstellen lassen.

„Ich habe hier erst im ländlichen Raum gemerkt, welchen tieferen Sinn es hat, aktiv zu werden, ohne eine politische Schublade zu ziehen. Für die, die kommen und tatsächlich was bewegen wollen im ländlichen Raum, ist meine allererste Empfehlung: Geh in den Gemeinderat. Da fallen Entscheidungen, da bekommst du mit, wer was macht, was wo wie läuft, et cetera. Bei der nächsten Gemeinderatswahl im Frühjahr bin ich mit dabei, habe ich mich aufstellen lassen.“

Hinzu kommt, dass in Gemeinden mit nur ein paar tausend Einwohnerinnen die Wege kurz und die Verhältnisse persönlich sind.

Jan: „Das ist jetzt ja das coole halt. Wenn du mir jetzt sagst, ich hätte ganz gern mal einen Termin mit dem Bürgermeister, dann sage ich dir, ja kein Problem. Hier die Telefonnummer, ruf ihn mal an. Und am Telefon wird man dir sagen: Ja kommen sie mal nächste Woche vorbei. Und das geht auf ganz vielen Ebenen. Das geht auch politisch. Das sind auch so Dinge, die funktionieren in der Stadt so nicht.“

Schon in einer Kleinstadt, ein paar Kilometer weiter, können die Dinge ganz anders laufen, wenn sich die Direktheit vom Dorf in behördendeutscher Trägheit verliert. Diese Erfahrung hat Informatiker Micha Freudenberg in Senftenberg machen müssen. Dort befindet sich der Sitz seiner Digitalagentur.

„Auch wir haben am Anfang versucht irgendwie mit einzelnen Projekten den Handschlag hinzukriegen. Sei es mit Verbänden, mit Politik oder wie auch immer. Das war A so langwierig und B irgendwie eine Hinhaltetaktik und es kam wirklich nichts bei raus. Speziell in den Kleinstädten ist alles sehr festgefahren und eingefahren. Da gibts klare Strukturen, die Älteren regieren alles und da haben auch wir die Segel gestrichen und gesagt: Nein, machen wir nicht mehr. Also übersetzt: Wir stecken lieber unsere Zeit und Kraft in Dinge, die wir ändern können.“

Was in diesem Fall als Hinhaltetaktik wahrgenommen wurde, ist möglicherweise auf die Wirtschaftspolitik der Regierung zurückzuführen. Unter dem Motto „Stärken stärken“ werden vorrangig die Branchen und Industriestandorte unterstützt, die Gewinn und Wachstum garantieren. Sprich von finanziellen Förderungen profitieren vor allem größere Unternehmen in größeren Städten – mit der Hoffnung, dass einzelne ökonomische Leuchttürme auf die umliegenden Regionen ausstrahlen. Aber auch wenn sich diese Strategie in der Vergangenheit als erfolgreich erwiesen hat, scheitert sie an der Realität des Lausitzer Strukturwandels. Das kann Jan Hufenbach bestätigen:

„Und es ist absehbar, dass die Leute immer älter werden, paar Häuser zerfallen schon und die Straße muss in Schuss gehalten werden. Zu- und Abwasser, Strom, Feuerwehr und Pipapo. Das kostet ein Wahnsinns-Geld, wenn man das beibehält, geht die Gemeinde pleite. Also was macht man? Man muss Lösungen dafür finden. Das sind Themen, die treffen hier auch auf die ländlichen Räume zu, weil man wird nicht jedes Dorf, wie es heute noch da ist, noch in 20 bis 25 Jahren so erleben und halten können.“

Die Zukunft gerecht denken, nur wie?

Städte wie Cottbus, Spremberg oder Bautzen sind kaum in der Lage sich selbst zu erleuchten, vom Umland ganz zu schweigen. Dementgegen zeigt sich, dass jedem Fortschritt auch ein Rückschritt innewohnt, denn je heller die Industriestandorte strahlen, umso dunkler erscheint alles außerhalb davon. So sind vor allem die kleinen Dörfer im Schatten, die fernab florierender Stadtgebiete erst verarmen und dann verfallen. Diese Regionen erleben ihre schwache Struktur in Form eines schwachen Staates. Und zwar bezüglich der Bildung, wenn auch die letzte Grundschule geschlossen wurde und alle Kinder in die nächst größere Stadt fahren müssen, bezüglich der Infrastruktur, da es weder Internet noch einen regelmäßigen Busfahrplan gibt und bezüglich der Kultur, ohne Theater oder Kino. Das höchste der Gefühle ist der verfallener Tanzsaal in der Dorfmitte, der schon vor Jahren seine Pforten schließen musste. Ohne wirtschaftliche Unterstützung und vor allem Aufmerksamkeit bleiben neben den Bedürfnissen der dort lebenden Menschen auch die sozialen Missstände im Verborgenen. Dann ist örtlich schwindendes Vertrauen in die Demokratie, sollte es überhaupt jemals dagewesen sein, fast schon vorprogrammiert.

Um dem entgegenzuwirken, müssten politische Maßnahmen auch regionale Projekte anschieben, die wirtschaftlich erst auf den zweiten Blick oder vielleicht gar nicht lohnenswert erscheinen, sozial dafür umso mehr. Solange das nicht der Fall ist, braucht es die Arbeit von Raumpionier*innen wie Arielle und Jan Hufenbach, die ihre progressiven Lebensmodelle in die Politik tragen ebenso, wie den Unternehmergeist von Micha Freudenberg, der unabhängig eine positive Zukunft mitgestaltet.

„Ich würde sagen tendenziell ist das Leben zu jedem Zeitpunkt im Wandel und nichts bleibt stehen. Alles ist auf Wachstum ausgerichtet und kein Organismus will auf der gleichen Ebene verharren. Und deshalb befinden wir uns immer im Wandel. Sei es unternehmerisch, sei es gesellschaftlich oder eben privat und persönlich.“

Wer kommt zu Wort?

Die Lausitz hat eine Zukunft – davon ist der 31-jährige Alexander Dettke überzeugt. 2013 gründete er gemeinsam mit Freunden das Kunst- und Musikfestival Wilde Möhre auf einem alten Tagebaugelände bei Drebkau. Dettke, der lange in Chicago und Japan gelebt hat, kam 2009 zum Studieren nach Berlin. Gemeinsam mit seinen Freunden initiierte er einen philosophischen Zirkel, von dem er sich Antworten auf die großen Fragen des Lebens versprach: Was ist Liebe? Was ist Freundschaft? Welche Werte zählen? Die vielen Berliner Freiluft-Partys inspirierten Dettke und seine Freunde damals dazu eigene Veranstaltungen zu organisieren – und diese mit ihrer Philosophie eines guten Lebens zu verbinden. Für die Utopie, die sich Dettke und seine Freunde ausgemalt hatten, war Berlin jedoch irgendwann zu klein, zu oberflächlich, zu destruktiv. Daraufhin suchte er nach einem Platz mit Paradiespotential – und fand ihn in der südbrandenburgischen Pampa.

Wo 1986 noch das Dorf Radeweise eingezeichnet war, findet sich auf der Karte heute ein weißer Fleck. Ihren Heimatort nahe Spremberg gibt es nicht mehr. Christina Grätz gehört zu den schätzungsweise 120.000 Menschen, die ihr Zu Hause für die Kohle verlassen mussten. In ihrer Jugend hat die heute 44-Jährige gegen die „Scheißkohle“ demonstriert. Aber das ist lange her. Als sie erwachsen wurde, merkte sie, dass sie den Kohleabbau nicht verhindern kann – und konzentrierte sich stattdessen darauf, der Natur etwas wiederzugeben. Nachdem die studierte Biologin zehn Jahre in einem Ingenieurbüro gearbeitet hatte, hat sie 2011 den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Seither bringt sie ehemalige Tagebaue mit ihrer Firma Nagola Re wieder zum Blühen – und ist damit sehr gefragt, Dass ihre Idee so einschlägt, hat Christina Grätz während der Gründung nicht geahnt. Der Start war mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Damit es andere Gründer künftig einfacher haben, mit ihren Ideen in der Wirtschaft Fuß zu fassen, wünscht sie sich weniger Bürokratie und mehr Flexibilität.

Nicht nur, weil er selbst 1981 in der geteilten Stadt Guben geboren ist, ist Juniorprofessor Holger Seidlitz die Zusammenarbeit mit Polen wichtig. In der internationalen Kooperation sieht er noch viele ungenutzte Chancen für die Zukunft der Lausitz. Vor allem die einseitig national ausgerichtete Förderkultur schränke länderübergreifende wissenschaftliche Projekte derzeit noch ein. Seit März 2015 leitet Holger Seidlitz das Fachgebiet (Leichtbau mit strukturierten Werkstoffen)[https://www.b-tu.de/fg-leichtbau/] an der BTU Cottbus-Senftenberg. Sein Spezialgebiet sind Neuentwicklungen im Bereich der Faserverbundwerkstoffe. Mit seinen Studierenden hat er u.a. ein neuartiges, besonders robustes Snowboard aus über 10 Schichten verschiedenster Materialien konstruiert und gebaut. Davor hat er in Senftenberg, Dresden und Chemnitz studiert, promoviert und gearbeitet. Die Geschichte des heute 37-Jährigen ist so auch die eines erfolgreichen Rückkehrers, der die Zukunft im Süden Brandenburgs aktiv mitgestaltet.

Als Christine Herntier 2014 die freie Wirtschaft verließ und zur Bürgermeisterin Sprembergs gewählt wurde, ahnte sie nicht, wie vielen Papierbergen sie sich stellen muss, um etwas zu verändern. Nach fünf Jahren sagt sie, habe sich eine gewisse Resignation eingestellt, doch sie kämpft für Spremberg und die Region. Denn so einen Einbruch wie in den 90er Jahren will sie nicht noch einmal erleben. Als Sprecherin der (Lausitzrunde)[http://www.lausitzrunde.de/lausitzrunde-3/] vertrat sie die Lausitz in den Verhandlungen der Kommission für Wachstum, Struktur und Beschäftigung. Die Empfehlungen der Kommission seien eine Chance, nun brauche es Mut, sie zu ergreifen. Christine Herntier ist geboren und aufgewachsen in Spremberg.

2010 hat Jan Hufenbach die Liebe nach zehn Jahren Vollgas in Berlin gut 200 km südlich in den Landkreis Görlitz gezogen. Dort lebt und arbeitet der Raumpionier nun in einem kleinen Dorf mit ungefähr 80 Einwohnern direkt an der polnischen Grenze, also ziemlich „janz weit draußen – vor der Stadt, vor den Metropolen“, dort wo sich Wolf, Wildschwein und Kranich gute Nacht wünschen. Er sagt: „Aus der Großstadt „aufs Land“ zu wechseln ist ein gewaltiger Schritt. Es ist eben doch ganz schön anders. Es ist aber auch – ohne diesen Schritt zu verkitschen – wirklich ganz schön dieses Anderssein.“

Die im Rahmen des Strukturwandels diskutierte Digitalisierung ist für Michael Freudenberg eine Frage des Mindsets: „Das, was in den Köpfen ankommen muss, ist eine Denkweise. Wie muss ich denken, um mich in unserer Welt weiterzuentwickeln und weiter voranzukommen?“ Dass alle Mitarbeiter eines Unternehmens dabei mitgenommen werden, sei eine wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen digitalen Wandel. Michael Freudenberg ist Gründer und Geschäftsführer der Digitalagentur neuZiel in Senftenberg. Seine Agentur erstellt Webseiten, entwickelt webbasierte Anwendungslösungen und berät Unternehmen auf ihrem digitalen Weg in die Zukunft. Bis 2014 war er als Administrator an der Hochschule Lausitz in Cottbus tätig – bevor er die Selbstständigkeit wagte.